Feminismus
Ich war einst selbst Teil der TERF-Bewegung – ein Interview mit einer Aussteigerin der Bewegung

Ich war einst selbst Teil der TERF-Bewegung – ein Interview mit einer Aussteigerin der Bewegung

In diesem Beitrag werde ich euch einen Einblick in die TERF-Szene geben. Dazu habe ich eine Aussteigerin interviewt, die anonym bleiben möchte und die ich daher in diesem Artikel als „Sam“ bezeichnen werde, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Bevor ich jedoch in das Thema einsteige, möchte ich kurz erklären, was TERFs sind. TERF ist ein Akronym für „Trans-Exclusionary Radical Feminism“, auf Deutsch „trans-ausschließender radikaler Feminismus“. TERFs sind eine Strömung innerhalb des radikalen Feminismus, die aktiv trans Menschen aus ihrer Bewegung ausschließen und dabei oft sehr radikal vorgehen. Insbesondere trans Frauen werden von TERFs invalidiert, was eine Form von Transmisogynie darstellt.

Nun aber zum eigentlichen Thema: Ich hatte vor einiger Zeit das Privileg, Sam zu interviewen und ihr verschiedene Fragen zu ihrer Erfahrung in der TERF-Szene zu stellen. Sie hat bereitwillig und ehrlich geantwortet, unter der Bedingung der Anonymität, was ich sehr respektiere.

Die Erkennungsflagge der Bewegung. Nicht zu verwechseln mit der Genderqueer Flagge, die optisch sehr ähnlich aussieht.

Riley: Wie bist du in die RadFem bzw. TERF-Szene gerutsch?

Ich konnte manche Bedenken bzgl des Selbstbestimmungsgesetzes verstehen. Es wurde ständig davon geredet, dass bald jeder Mann Frauenräume betreten dürfe und Frauen sich nicht dagegen wehren könnten, ohne bestraft zu werden. Das machte mir Angst. Außerdem agierten manche Trans-Aktivisten sehr aggressiv auf Twitter und beschimpften jede Frau, die Bedenken bzgl des SBG äußerte. Das fand ich nicht richtig. Es wirkte so, als würde Frauen der Mund verboten werden.
Vor allem war es aber der Umgang mit Marie-Luise Vollbrecht nach ihrem abgesagten Vortrag. Sie hatte nur einfache biologische Fakten ausgesprochen und wurde dafür gemobbt – so sah es für mich damals aus. Ich fand das unfair und solidarisierte mich mit ihr auf Twitter. Dadurch wurde die TERF-Bubble auf mich aufmerksam und ich wurde schließlich Teil von ihr.

Riley: Wie ist die Struktur?

Es gibt keine feste Struktur, aber einige Gruppierungen und Vereine, die TERF-Ideologie vertreten, zB der WDI oder die Initiative „Lasst Frauen sprechen“.
Die Frauen sind aber untereinander sehr gut vernetzt. Es gibt einen Discord-Server, ich wurde auch in eine WhatsApp-Gruppe eingeladen und war auch bei einem persönlichen Treffen, auf dem u.a. eine Demo geplant wurde.

Riley: Wie war das Verhalten untereinander bei euch?

Einerseits ist es sehr nett und es gibt großen Zusammenhalt. Andererseits sind viele Radfems aber auch sehr paranoid. Ich wurde zB schon als Neuling von einigen als U-Boot gebrandmarkt, weil ich ein Profilbild benutzt hatte, das ihnen nicht gefiel. So geht es auch anderen, die Kritik äußern. Es gibt kaum Offenheit für Kritik. Vieles erinnerte mich tatsächlich an einen Kult.

Riley: Was ist dir aufgefallen?

Das paranoide Verhalten einiger Radfems fand ich von Anfang an merkwürdig. Im Laufe der Zeit ist mir aufgefallen, dass ihr Denken oft von Verschwörungstheorien geprägt ist. Sie glauben zB an eine international agierende Translobby, die im Hintergrund die Fäden zieht.
Außerdem ist mir natürlich ihre Transfeindlichkeit aufgefallen. Sie reagieren auf alles allergisch, was mit „trans“ zu tun hat und sie sprechen trans* Frauen das Frausein ab, selbst wenn diese sich einer GaOP unterzogen haben.

Riley: Was hat dich dazu bewegt da raus zu kommen?

Es war ein längerer Prozess. Mir fielen immer mehr Dinge auf, bei denen ich nicht mehr mitgehen konnte. In erster Linie war es die Transfeindlichkeit der TERF-Bubble, aber auch ihre Verschwörungstheorien, die mangelnde Abgrenzung gegen rechts, die zunehmende Irrationalität und Radikalisierung.
Und daneben war es mein Selbstverständnis als Linke, die immer gegen Diskriminierung gekämpft hat. Wie konnte ich das mit meinem Gewissen und meinen Werten vereinbaren, gegen eine marginalisierte Minderheit zu hetzen? Ich musste erkennen, dass ich auf einem Irrweg war und jetzt dringend die Notbremse ziehen muss.

Riley: Was kam danach?

Die TERFs haben sofort reagiert und mich aus sämtlichen Gruppen herausgeworfen. Ich habe dann viele auf Twitter geblockt oder entfolgt. Einzelne Frauen haben noch versucht, mich zur Rückkehr zu überreden. Die meisten reagierten aber mit Wut und Unverständnis. Ich bekam einen gewaltigen Shitstorm auf Twitter, und seitdem kursieren alle möglichen Gerüchte über mich: ich sei ein U-Boot, ein Mann, eine Handmaiden, ein Agenturaccount oder würde von der Translobby bezahlt werden. All das bestätigt mich darin, dass mein Ausstieg das einzig richtige war. Ich baue mir nun wieder eine linke Bubble auf und habe auch Kontakt mit trans* Menschen, worüber ich sehr glücklich bin. Ich möchte die Perspektive von trans* Menschen besser kennenlernen und verstehen.

Riley: Hast du noch Kontakt zu anderen TERFs?

Nein.

Riley: Was möchtest du potentiellen Aussteigerinnen auf dem Weg geben?

Kritisch bleiben und immer wieder hinterfragen – sowohl sich selbst als auch die Infos aus der TERF-Bubble. Es gibt immer auch eine andere Perspektive. Es kann auch helfen, sich eine Auszeit zu nehmen, um Abstand zu gewinnen. Außerdem ist es gut, den Kontakt zu anderen Aussteigerinnen zu suchen und sich mit der Lebensrealität von trans Menschen auseinanderzusetzen, die ganz anders ist, als sie von TERFs dargestellt wird. Auf Twitter gibt es dazu den Hashtag #transrealitäten, den ich sehr hilfreich finde.

Ich bedanke mich ganz herzlich an Sam für ihre Offenheit mir gegenüber über die Zeit zu sprechen und ihre Erkenntnisse mit uns zu teilen. Ich hoffe, dass ich anderen Leuten hiermit ein bisschen Einblick darüber gebe was im Hintergrund alles in der Szene passiert.

Eigene Meinung

Als ich auf Sam aufmerksam wurde, hatte ich zunächst Bedenken, ob ich ihr vertrauen konnte und ob sie tatsächlich aus der TERF-Szene ausgestiegen war. Doch nachdem wir uns näher kennengelernt und persönlich miteinander gesprochen hatten, öffnete sie sich mir gegenüber sehr und ich war froh, dass sie den Mut gefunden hatte, den Weg herauszufinden und darüber zu sprechen.

Als Ally unterstützt sie uns und hat sich von der Negativität gegenüber trans Menschen gelöst. Das Interview mit ihr war äußerst angenehm und sie zeigte sich als äußerst freundliche Frau. Die Einblicke, die sie mir gewährte, bestätigten meine Vermutungen über die lockere sektenähnliche Struktur innerhalb der TERF-Szene. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es sich um eine (noch) kleine, aber laute Minderheit handelt, die voller Hass ist und gezielt Lügen und hyperbolische Fakenews verbreitet, um ihre rückständigen Ideologien zu verbreiten.

Insgesamt bin ich dankbar, dass Sam den Mut gefunden hat, sich von dieser toxischen Szene zu lösen und dass sie nun als Verbündete für die Rechte von trans Menschen eintritt. Ihr Engagement ist ein gutes Beispiel dafür, dass es möglich ist, aus einer destruktiven Ideologie auszusteigen und ein besserer Mensch zu werden.